Systematische Rekonstruktion der Kameralistik als "politische Metaphysik" und institutionenökonomische Reinterpretation der philosophisch fundierten kameralistischen Theorie

Projektbeschreibung:
Zu theoretischer Reife gelangt die Kameralistik in den Werken Johann Heinrich Gottlob von Justis und Joseph von Sonnenfels'. Ist die frühe Kameralistik prima facie ein Set ökonomisch-technischer Ratschläge, so erfolgt mit Justi eine explizite Grundlegung dieser Theorie als „politischer Metaphysik“ (Natur und Wesen der Staaten, XXIV). In dieser "reifen" Gestalt ist die Kameralistik also eine umfassende soziale Theorie, nämlich eine Ökonomik, die ein anthropologisches, naturrechtliches und staatstheoretisches framework besitzt. Das Forschungsprojekt hat folgende Ziele: eine Rekonstruktion der Grundlegung der Kameralistik als „politischer Metaphysik“ und eine systematische Bewertung dieser philosophisch fundierten Theorie (Teil I) sowie eine institutionenökonomische Reinterpretation und Plausibilisierung der "reifen" kameralistischen Theorie (Teil II). Diese Ziele sollen durch eine theorieimmanente und systematische Untersuchung erreicht werden. Zwar gibt es zur Kameralistik ideengeschichtliche und historische Studien; eine systematische Untersuchung der von Justi betriebenen philosophischen Fundierung dieser Disziplin ist jedoch ein Desiderat der Kameralismusforschung. Um diesem Erfordernis zu entsprechen, sollen in einem ersten Schritt die Struktur und die Zielsetzung der frühen kameralistischen Ökonomik identifiziert sowie diejenigen Defizite dieser Theorie herausgearbeitet werden, die ihre philosophische Fundierung begünstigt oder motiviert haben. Justis Abhandlung Natur und Wesen der Staaten, im Urteil ihres Autors „eine Art von einer politischen Metaphysik“ bzw. die „Grundwissenschaft <...> aller ökonomischen und Cameral=Wissenschaften“ (Zitate: ebd., XXIV), soll in einem zweiten Schritt rekonstruiert sowie in ihrer systematischen Relevanz geprüft werden. Inhaltlich – so soll mit dieser Untersuchung gezeigt werden – gibt sich die Kameralistik mit ihrer philosophischen Grundlegung einen anthropologischen und naturrechtlichen Rahmen, in dem sich auch eine ökonomische Theorie eines anderen Typs, nämlich eine wirtschaftsliberale political economy, formulieren läßt. Auch mit der im II. Teil angestrebten institutionenökonomischen Reinterpretation der kameralistischen Theorie betritt das Forschungsprojekt Neuland. Falls sich die Kameralistik tatsächlich die Gestalt einer „politischen Metaphysik“ gibt, die als Begründungsressource für eine wirtschaftsliberale political economy dienen könnte, stellt sich die Frage, warum die Kameralistik eine solche ökonomische Position nicht ausgebildet hat. Diese Tatsache wird üblicherweise mit dem geringen allokationseffizienztheoretischen Gehalt und einer normativ-regulativen Überlastung der kameralistischen Ökonomik erklärt und negativ bewertet. Demgegenüber beabsichtigt das hier skizzierte Forschungsprojekt, die kameralistische Ökonomiekonzeption mit den Mitteln der modernen Institutionenökonomik zu analysieren und – so weit wie möglich – als eine spezifische Konzeption institutioneller Arrangements für Marktbeschränkungen und -entwicklungen zu rehabilitieren. Unter dieser Perspektive sind Märkte institutionell arrangierte Handelsarenen, deren Umfang und Qualität "polizeylich" reguliert wird. Wir können von spezifischen Marktdesigns sprechen; Marktgröße und Bevölkerungsdichte sind korreliert. Folglich gehört die Bevölkerungspolitik ("Peuplirung") ebenso zur Regulation wie etwa Heiratssitten. Märkte sind unter dieser Fragestellung also nicht als selbständige Wachstumsgeneratoren, sondern als Komponenten institutioneller Arrangements thematisch. Es ist eine Tagung zu diesem Thema im Jahr 2008 geplant.
Projektlaufzeit:
Projektbeginn: 2004
Projektende: 2007
Projektleitung:
Prof. Dr. rer. pol. Birger P. Priddat

Zeppelin University Friedrichshafen
Lehrstuhl für Politische Ökonomie (2004 bis 2007)

Am Seemooser Horn 20
88045 Friedrichshafen

Telefon: +49 7541 6009-1400
Fax: +49 7541 6009-1499
Email: gabriele.pirkl@zu.de
http://www.zeppelin-university.de/politische_oekonomie
Projektbearbeitung
Prof. Dr. Birger P. Priddat, Dr. Hans-Christoph Schmidt am Busch
Finanzierung:

  • Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG

Projektbezogene Publikationen:

  • Schmidt am Busch, Hans-Christoph: Die Kameralistik als "politische Metaphysik", in: Stolzenberg, J. / Rudolph, O.-P. (Hrsg.): Akten des 1. Internationalen Christian Wolff-Kongresses, Hildesheim, Olms Verlag, 2007 (in Druck).
  • Schmidt am Busch, Hans-Christoph: Religiöse Hingabe oder soziale Freiheit. Die saint-simonistische Theorie und die Hegelsche Sozialphilosophie, Hamburg, Felix Meiner, 2007 (in Druck).
  • Priddat, Birger P.: Leidenschaftliche Interessen: Hirschmanns Theorem im Blickpunkt alternativer Rekonstruktionen, in: Pies, I. / Leschke, M. (Hrsg.): Albert Hirschmanns grenzüberschreitende Ökonomie, Tübingen, 2006: 29-54.
  • Schmidt am Busch, Hans-Christoph: Cameralism as "Political Economy", European Journal of the History of Economic Thought, 2006 (unter Begutachtung).

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